Wie Antworttendenzen Befragungen verzerren und wie man sie vermeiden kann

Verzerrungen im Antwortverhalten von Befragungsteilnehmer sind eine große Herausforderung für die Qualität von Befragungen. Die verschiedenen Arten von Antwortverzerrungen werden unter dem englischen Begriff „Response Bias“ oder zu Deutsch „Antworttendenzen“ zusammengefasst.

Konkret werden durch Auftreten von Antworttendenzen, die Befragungsergebnisse systematisch verzerrt und dadurch negativ beeinflusst. Diese Verzerrungen führen am Ende dazu, dass die Ergebnisse von den wahren Meinungen oder Einstellungen der Befragten abweichen.

Wann und warum kommt es überhaupt zu derartigen Verzerrungen?

Antwortverzerrungen treten vor allem dann auf, wenn die Antworten der Befragten nicht nur von der Frage, sondern auch von anderen Faktoren beeinflusst werden. Diese Faktoren können sowohl beim Befragten, in der Interviewsituation als auch im Erhebungsinstrument liegen. Gründe für das Auftreten von Antworttendenzen können ein oberflächliches Beantworten der Fragen, eine vermeintliche Übereinstimmung mit sozialen Normen oder auch die Formulierung der Fragen sein.

Wie sieht ein optimaler Antwortprozess eines Befragten aus?

Folgende Aspekte sind wichtig, damit ein Befragter, Fragen bestmöglich beantwortet:

  1. Neutrale Präsentation der Frage.
  2. Verstehen der Frage.
  3. Gewinnung der Informationen aus dem Gedächtnis.
  4. Beurteilung welche der Informationen für die Antwort relevant sind.
  5. Unbeeinflusste Angabe der Antwort.

Jeder dieser Schritte kann mit hohem kognitivem Aufwand verbunden sein, was Befragte dazu bewegen kann, die Frage nur oberflächlich zu beantworten.

Andere Fehlerarten bei Umfragen

Antwortverzerrungen stellen allerdings nur eine von vielen möglichen Fehlerarten dar, die bei Umfragen auftreten können. Andere Verzerrungs- oder Fehlertypen sind z.B. eine fehlerhafte Stichprobenauswahl oder der Ausfall von Interviews (Non-Response Bias), die das Ergebnis negativ beeinflussen können. Mehr über die verschiedenen Fehlerarten bei Umfragen finden Sie in unserem Beitrag zu diesem Thema.

Abb.1 Fehlerarten bei Befragungen

Im Folgenden stellen wir nun die wichtigsten Ausprägungen von Antworttendenzen vor. Diese unterteilen sich einerseits in formale Aspekte und andererseits in inhaltliche Aspekte, wobei formale Tendenzen auch oft auf inhaltliche Tendenzen zurückzuführen sind.

Formale Antworttendenzen

Bei formalen Antworttendenzen handelt es sich um Verzerrungen, die unabhängig von Inhalt der Frage auftreten. 

Satisficing
Beim sogenannten “Satisficing” handelt es sich um oberflächliches Antwortverhalten, bei dem die Befragten ihren kognitiven Aufwand reduzieren, indem sie die erstbeste Antwort, die ihnen in den Sinn kommt, angeben. Bei starke, Satisficing werden die Fragen oft gar nicht mehr gelesen und so der Inhalt der Frage nicht mehr wahrgenommen. Online-Befragungen sind hierfür besonders anfällig. Satisficing ist meist der Auslöser von Antworttendenzen, wie der „Zustimmungstendenz (Akquieszenz)“ oder der „Tendenz zur Mitte“.

Akquieszenz
Bei dieser Art der Verzerrung, auch Zustimmungstendenz oder „Ja-Sager“-Tendenz genannt, stimmen Befragungsteilnehmer unabhängig von den Inhalten der Frage bzw Statement zu. Das heißt, es werden Antwortoptionen wie zum Beispiel „Ich stimme zu“ oder „Ja“ angegeben. Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass Befragte mit „geringem sozialem Status“ und geringeren kognitiven Fähigkeiten besonders zu Akquieszenz neigen. Die Neigung zu Akquieszenz wird durch die Komplexität der Befragung, die Fähigkeit des Befragten und durch die Motivation beeinflusst.

Tendenz zur Mitte
Speziell bei Unsicherheit neigen Befragte zur Angabe einer Antwort in der Mitte (z. B. Antwort 3 bei einer Likert-Skala von 1 bis 5). Frei nach dem Motto „Dort kann ich am wenigsten falsch machen!“. Grundsätzlich gilt, je unsicherer die Einschätzungen des Befragten -, desto größer ist die Tendenz zur Mitte. Aber auch durch Satisficing kann die Tendenz zur Mitte verstärkt auftreten.

Straightlining
“Straightlining” tritt auf, wenn Befragte bei einer Fragen-Matrix bzw. Item-Batterie immer mit demselben Muster antworten, indem sie beispielsweise immer die erste Antwortmöglichkeit angeben. Dies tritt vor allem bei selbst-administrierten Befragungen (ohne Interviewer) auf.
Während es relativ einfach ist, Respondenten die beispielsweise immer die erste Antwort auswählen, zu erkennen (Abb. 2), ist es bedeutend schwieriger, Befragte, die abwechselnd zwei oder mehr Antwortmöglichkeiten angeben, zu identifizieren (Abb.3).

Abb. 2

Abb.3

Dieses Antwortverhalten tritt meist dann auf, wenn Befragte gelangweilt sind, oder die Befragung zu komplex und zu fordernd empfinden.

Tendenz zur Milde oder Härte
Mit der Tendenz zur Milde oder zur Härte wird die Neigung von Befragten beschrieben, Extrem-Antworten in Bewertungsskalen – unabhängig vom Inhalt – abzugeben. Damit stellt diese formale Tendenz das Gegenteil zur Tendenz zur Mitte dar. Studien haben ergeben, dass Telefon- und face-to-face-Interviews bei dieser Antworttendenz stärker betroffen sind als Online- oder schriftliche Interviews. Die Tendenz ist hier zu besonders positiven Antworten, was mit der Anwesenheit eines Interviewers zusammenhängen kann.

Inhaltliche Antworttendenzen

Die folgenden Antworttendenzen sind, anders als oberflächliches Antwortverhalten, vom Inhalt der Fragen, als auch von Faktoren wie die Fragen gestellt werden und wer die Fragen stellt, abhängig.

Soziale Erwünschtheit
Die wohl bekannteste Form von Response Bias ist die Soziale Erwünschtheit. Ein sozial erwünschtes Antwortverhalten tritt vor allem dann auf, wenn Befragte nach sozialen Normen antworten. Soziale Erwünschtheit beschreibt die Tendenz so zu antworten, wie es in der Gesellschaft „erwünscht“ ist.
Ein sozial erwünschtes Verhalten kann auftreten, wenn es sich bei den Fragen über sensible oder heikle Themen handelt. Beispiele hierfür sind Befragungen zu Alkoholkonsum, politischer Einstellung oder Sexualverhalten.
Auch die Erhebungsmethode hat Einfluss auf das Antwortverhalten.
So kann gerade die Anwesenheit von Interviewer oder anderer Personen die Effekte von sozialer Erwünschtheit verstärken.

Interviewereffekte
Interviewereffekte sind abhängig von der Situation der Interviews. Die Ursachen liegen hier vor allem im Verhalten, aber auch in den demografischen Merkmalen der Interviewer. Grundsätzlich hat die Anwesenheit eines Interviewers positive Auswirkungen. Es können Nachfragen gestellt und unklare Punkte geklärt werden, um sicherzustellen, dass die Frage verstanden wurde.
Ein Interviewer kann aber auch negative Auswirkungen auf das Antwortverhalten der Interviewten haben. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn Antwortkategorien nicht neutral vorgelesen werden und die Befragten zur Angabe bestimmter Antworten verleitet werden.

Wie können diese Antwortverzerrungen reduziert oder ausgeglichen werden?

Fragebogendesign
Ein sehr wichtiger Aspekt ist die Formulierung der Fragen. Hier ist vor allem darauf zu achten, dass die Fragen neutral formuliert sind, sodass die Befragten nicht in eine vorgegebene Richtung gelenkt werden.

Neutrale Interviewer
Bei Befragungen mit Interviewer, ist besonders darauf zu achten, dass die Fragen so neutral wie möglich gestellt werden. Um eine Zustimmungstendenz zu vermeiden, ist auch auf das Tempo mit dem die Fragen gestellt werden zu achten.

Der Einsatz von ReDem
Eine Lösung für das Identifizieren und die Korrektur von Antwortverzerrungen stellt unsere Datenqualitätslösung dar.
Unser Tool analysiert das Antwortverhalten von Befragten, mithilfe von speziellen projektiven Kontrollfragen. Damit können einige der oben angeführten Antworttendenzen, wie soziale Erwünschtheit erkannt werden.

Florian Kögl
Florian ist Gründer und CEO von ReDem®. Darüber hinaus ist er Vorstandsmitglied im Verband der Marktforschung Österreichs und verfügt über umfangreiche Erfahrung in der Entwicklung innovativer Softwarelösungen.