Online Umfragen sind ein unverzichtbares Werkzeug der modernen Marktforschung – schnell, kosteneffizient und ein entscheidender Hebel, um Kundenmeinungen in einem breiten Umfang zu verstehen. Doch dieses scheinbar unverzichtbare Instrument steht unter Beschuss. Immer ausgefeiltere Betrugsmethoden, von Click Farms über KI-gestützte Bots bis hin zu manipulativen Registrierungsverfahren, stellen die Integrität der gesammelten Daten in Online Umfragen in Frage. Beim Webinar von ReDem, moderiert von Sabine Hedewig Mohr von Planung & Analyse, gaben Julia Mittermayr und Florian Kögl Einblicke in die Methoden von professionellem Umfragebetrug und die Auswirkungen davon auf Marktforschungsergebnisse.
Hier die wichtigsten Erkenntnisse
1) What? - Was ist Umfragebetrug und wie funktioniert er?
Umfragebetrug hat sich in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt. Was früher durch unaufmerksame Teilnehmer entstand, hat sich zu einem systematischen Problem mit ausgeklügelten Methoden und Technologien gewandelt. Besonders hervorzuheben ist die Rolle sogenannter Click Farms. Diese Netzwerke aus virtuellen Geräten werden von Betrügern verwendet, um massenhaft Umfragen auszufüllen. Im Webinar wurde ein Beispiel aus Venezuela vorgestellt, in dem ein Betrüger monatlich rund 3.000 Umfragen bearbeitet. Sein Einkommen von 2.500 US-Dollar im Monat entspricht einem Vielfachen des Durchschnittslohns seines Landes. Einst wurden solche Netzwerke manuell betrieben, wobei Menschen mehrere Geräte gleichzeitig bedienten. Heute sind sie zunehmend automatisiert. Bots übernehmen den Großteil der Arbeit und simulieren menschliches Verhalten, um Umfragen in großen Mengen auszufüllen.
Manipulation bei der Verifizierung
Doch mit dem Einrichten einer Click Farm allein ist es nicht getan. Um Zugriff auf Umfragen zu erhalten, müssen sich die Betrüger bei den Panels registrieren. Dafür umgehen sie systematisch Verifizierungsprozesse. Mit Diensten wie TextVerified können sie beliebig viele Fake-E-Mail-Adressen und Telefonnummern generieren, um sich zu registrieren. Selbst Methoden wie SMS-Verifizierung oder Anrufe stellen für kein Hindernis dar. Besonders erschreckend ist die Leichtigkeit, mit der sogar Videoverifizierungen manipuliert werden. Ein Beispiel aus dem Webinar zeigte, wie Betrüger mit Perücken und wechselnden Hintergründen immer wieder dieselbe Verifizierung durchliefen.
Verschleierung des Standorts
Ein weiteres Schlüsselelement ihrer Strategie ist die Verschleierung des Standorts durch IP-Manipulation. Mit Tools wie TunnelBear oder Proxy-Servern können Betrüger ihre IP-Adresse verschleiern und vorgeben, aus einem gewünschten Land zu kommen. Ein im Webinar gezeigtes Video demonstrierte, wie einfach dies funktioniert: Ein Betrüger in Kanada änderte innerhalb von Sekunden seine IP-Adresse und täuschte vor, sich in Deutschland zu befinden. Mit fortschrittlicher Software zur IP-Rotation können sie sogar kontinuierlich neue IP-Adressen generieren, um den Anschein von unterschiedlichen Teilnehmern zu erwecken.
KI-gestützter Umfragebetrug
Besonders besorgniserregend ist die Fähigkeit von KI, Antworten gezielt anzupassen. Im Webinar wurde ein Experiment vorgestellt, bei dem ChatGPT zwei Mal dieselbe Frage beantwortete. Während die erste Antwort lang und auffällig detailliert war, wurde durch einen simplen Prompt eine zweite Antwort erzeugt, die deutlich kürzer, umgangssprachlicher und kaum von einer menschlichen Antwort zu unterscheiden war. Diese Entwicklung macht es immer schwieriger, KI-generierte Antworten ohne technologische Hilfsmittel zu erkennen.
Eine der neuesten Entwicklungen im Umfragebetrug ist der Einsatz generativer KI, wie sie in Tools wie Anthropics Claude zum Einsatz kommt. Dank der „Computer Use“ Funktion von Claude kann das KI-Modell nun Umfragen automatisch und selbstständig ausfüllen, indem es den Computer selbstständig bedient. Im Webinar wurde ein Video gezeigt, in dem Claude mithilfe eines simplen Prompts eine Umfrage eigenständig öffnete und die Fragen beantwortet – ohne Programmieraufwand und ohne jegliches menschliches Zutun.
2) So What? - Was sind die Konsequenzen von Umfragebetrug?
Wie groß ist das Ausmaß von Umfragebetrug tatsächlich – und welche Folgen hat er? Im Webinar wurden einige Fallbesipiele beleuchtet. Eine Untersuchung von Grey Matter Research, die Daten von fünf der zehn größten Panels in den USA analysierte, zeigte, dass 46 % der Teilnehmerdaten aufgrund schwerwiegender Qualitätsprobleme entfernt werden mussten. Noch dramatischer war eine wissenschaftliche Studie zu Bestäubungsverträgen in der Imkerei: Dort wurden über 90 % der gesammelten Antworten als unbrauchbar eingestuft. Bei ReDem liegt der Anteil der entfernten Daten glücklicherweise deutlich niedriger – meist zwischen 10 und 30 %, wie im Webinar erläutert wurde. Doch selbst diese Zahlen zeigen, dass schlechte Daten ein systematisches Problem bleiben.
Was aber passiert, wenn diese schlechten Daten nicht bereinigt werden? Hier zeigen sich die schwerwiegenden Konsequenzen. Umfragebetrüger und Bots neigen dazu, überwiegend positive Antworten zu geben: Ja, sie kennen die Marke. Ja, sie würden das Produkt kaufen. Ja, sie sind mit einer Dienstleistung zufrieden. Diese Tendenz nach oben verfälscht die Ergebnisse und führt zu gefährlichen Verzerrungen – wie in zwei eindrucksvollen Fällen aus dem Webinar deutlich wurde.
In einer Studie zur Markenbekanntheit einer Wohltätigkeitsorganisation gaben 58 % der „Bad Quality“-Teilnehmer an, die Marke zu kennen. Nach der Entfernung der schlechten Daten sank dieser Wert auf lediglich 15 %. Ohne die Bereinigung hätte das Unternehmen Ressourcen in falsche Marketingmaßnahmen investiert – und vermutlich wenig Erfolg damit gehabt.
Noch drastischer waren die Folgen im Fall von Procter & Gamble. Ziel war es, die Kaufabsicht für eine neue Whitening-Zahnpasta zu ermitteln. Die ursprünglichen Umfrageergebnisse zeigten, dass 54 % der Teilnehmer das Produkt kaufen wollten. Doch nach einer gründlichen Datenbereinigung fiel dieser Wert auf nur noch 20–25 %. Der Launch des Produkts scheiterte: negative Bewertungen dominierten die Verkaufsplattformen, und der Imageschaden für die Marke war enorm. Neben einem erheblichen finanziellen Verlust durch die Fehlinvestition wurde das Vertrauen in die Marktforschungsergebnisse stark beschädigt.
Diese Beispiele verdeutlichen, wie schwerwiegend die Folgen sind, wenn Unternehmen auf der Grundlage verzerrter Daten handeln. Schlechte Daten untergraben nicht nur die Glaubwürdigkeit der Marktforschung, sondern haben direkte Auswirkungen auf Unternehmen und deren wirtschaftlichen Erfolg.
3) What Now? - Wie lässt sich Umfragebetrug bekämpfen?
Angesichts der immer raffinierteren Methoden von Umfragebetrügern betonte Florian Kögel im Webinar die Bedeutung moderner Technologien: „Ohne den Einsatz moderner Technologien wie KI bewegen wir uns in einem Ruderboot, während die Betrüger längst mit Motorbooten unterwegs sind.“ Während Betrüger mit hochentwickelten Technologien agieren, bleibt die Marktforschung mit traditionellen Verfahren auf der Strecke. Es braucht einen umfassenden Ansatz, um mit modernen Betrugsmethoden Schritt zu halten.
Mit Tools wie dem ReDem Score und Ansätzen zur 360-Grad-Datenqualitätsprüfung ist es möglich auf die Herausforderungen von heute bzw. von morgen zu reagieren. Durch die Kombination mehrerer simultan laufender Qualitätschecks entsteht der ReDem Score, eine transparente und umfassende Bewertung der Datenqualität. Kernelemente dieses Systems sind der Time Score, der ungewöhnliche Antwortzeiten identifiziert, der Grid Question Score, der Antwortmuster in Matrixfragen analysiert, und der Open Ended Score, der offene Antworten unter anderem auf Plagiate, Duplikate, Kontext/Themenverfehlung, sprachliche Auffälligkeiten prüft.
Ein Highlight ist der Coherence Score, der Widersprüche innerhalb eines Interviews erkennt. Gerade Bots und unehrliche Teilnehmer, die Fragebögen nicht aufmerksam lesen, fallen bei diesen Checks auf. Damit wird eine bislang unerreichte Präzision in der Datenprüfung möglich.
Fortschrittliche und KI-basierte Tools bieten der Marktforschung die Chance, auf ein Motorboot umzurüsten – und mit modernen Umfragebetrug Schritt zu halten.
Fazit: Ein Katz-und-Maus-Spiel
Das Webinar machte deutlich, wie vielfältig und tiefgreifend die Bedrohungen durch Umfragebetrug sind. Von Click Farms über IP-Manipulation bis hin zu täuschend echten KI-generierten Antworten wird klar, dass die Marktforschungsbranche vor einem technologischen Katz-und-Maus-Spiel steht. Doch durch den Einsatz moderner Technologien, strenger Standards und transparenter Prozesse ist es möglich, die Oberhand über die Qualität von Umfragedaten zu behalten.